Wie funktioniert das „selbstreparierende“ SRT-Protein?
Die bei Tintenfischen beobachtete Selbstheilung wird durch ein Protein mit einer einzigartigen Struktur ermöglicht: das Squid Ring Teeth (SRT)-Protein. Es handelt sich dabei um ein Heteropolymer – eine sich wiederholende Abfolge verschiedener Proteine – mit einem flexiblen amorphen Teil und einem festen kristallinen Anteil. Der amorphe Teil des Proteins verleiht ihm seine selbstreparierenden Eigenschaften, während der kristalline Teil für hervorragende mechanische Eigenschaften sorgt.
Kommt das Protein mit Wasser in Kontakt, wird seine Reparaturkraft „aktiviert“. In feuchter Umgebung können sich die amorphen Sequenzen neu organisieren, neue Bindungen eingehen und sogar kristallisieren. Wenn zwei Netzwerke aus SRT-Proteinen aufeinandertreffen, können sie miteinander verschmelzen.
In trockener Umgebung hingegen bleibt die amorphe Phase fixiert, und das Netzwerk bewegt sich nicht mehr. Dadurch profitiert das Material von seiner hohen mechanischen Widerstandsfähigkeit, die durch die kristalline Phase garantiert wird. Zum Vergleich: Die Festigkeit ist etwa zehnmal höher als die von Baumwolle.
Selbstreparierende Smart Materials für Textilien und medizinische Anwendungen
Basierend auf diesem Protein haben mehrere Universitäten – darunter die University of Pennsylvania, die Drexel University, die University of Akron und das U.S. Naval Research Laboratory – selbstreparierende Beschichtungen entwickelt.
Diese Beschichtungen sind bisher vor allem für textile Anwendungen gedacht. Bei Kleidungsstücken könnte diese selbstreparierende Eigenschaft der Materialien zum Beispiel helfen, Löcher und Risse beim Waschen zu beseitigen. Bei Schutzkleidung wiederum könnte die Selbstreparatur in feuchter Umgebung für ein dauerhaft hohes Schutzniveau sorgen.
Forschungsteams haben außerdem Formulierungen entwickelt, die auf SRT-Proteinen basieren und mit Enzymen angereichert sind, die bestimmte Chemikalien neutralisieren können. Wird diese Mischung auf eine Textiloberfläche aufgetragen, entsteht ein Verbundmaterial, das in trockener Umgebung widerstandsfähig ist und in feuchter Umgebung Risse reparieren kann – und dabei die enzymatische Aktivität beibehält. Das Ergebnis ist ein Material, das einen hohen Schutz vor chemischen Angriffen bietet, bevor diese mit der Haut in Kontakt kommen.
Diese Technologie könnte künftig in der Landwirtschaft in Schutzanzügen zum Schutz vor Pestiziden oder im Verteidigungsbereich in Uniformen zum Schutz vor chemischen Waffen eingesetzt werden.
Dank der natürlichen Biokompatibilität und biologischen Abbaubarkeit sind auch medizinische Anwendungen denkbar. Besonders intensiv wird derzeit die Nutzung von SRT-Proteinen in Hydrogelen untersucht – Materialien aus Wasser und Polymeren, die häufig bei der Behandlung von Wunden und Verbrennungen sowie in Kontaktlinsen verwendet werden. Der Einsatz des SRT-Proteins könnte hier zu Produkten führen, die eine dauerhafte Heilung von Wunden oder bruchsichere Kontaktlinsen ermöglichen.
Darüber hinaus bezeichnen Forscher der University of Akron das SRT-Protein als „eines der widerstandsfähigsten Proteine, die bisher entdeckt wurden“, was seiner einzigartigen Struktur zu verdanken ist. Diese außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften machen es zur idealen Inspirationsquelle für Additive, die synthetischem Knochen-, Knorpel- oder Sehnengewebe Festigkeit und Flexibilität verleihen sollen.
Während die industrielle Herstellung solcher Proteine weiter voranschreitet, kristallisieren sich immer neue Anwendungsmöglichkeiten heraus: zum Beispiel in der Kosmetik, wo die Technologie in Anti-Pollution-Formulierungen eingesetzt werden könnte – also Produkten, welche die Haut gegen Luftverschmutzung schützen sollen – oder in der Bauindustrie, etwa für langlebige Farben mit perfekter Deckkraft.
Die selbstreparierenden Eigenschaften der Tintenfischzähne basieren auf der besonderen Struktur der SRT-Proteine. Sie erklären sowohl die Selbstheilung in feuchten Umgebungen als auch die hohe Festigkeit in einer trockenen Umgebung. Diese Technologie eröffnet neue Horizonte für technische Textilien – und weit darüber hinaus.
Unser Chemie- und Materialteam hat bereits weitere intelligente Materialien erforscht, etwa mit Blick auf Klebe- oder Selbsthärtungstechnologien. Durch gezielte Reize wie natürliches Licht, Feuchtigkeit oder Schweiß lassen sich leistungsstarke Materialien schaffen. Solche durch Bionik inspirierten Smart Materials eröffnen zahlreiche neue Chancen für die Materialien der Zukunft.
Über den Autor,
Rayan, Senior Consultant in Alcimeds Chemie- und Materialteam in Frankreich