Die Ungleichheit der Geschlechter im Hinblick auf psychische Gesundheit
Seit mehr als fünfzig Jahren stößt die psychische Gesundheit in der öffentlichen Gesundheitspolitik auf wachsendes Interesse. Während der Gebrauch von angstlösenden und antidepressiven Medikamenten stetig zunimmt (zunehmende Abgabe dieser Medikamente, zwischen 5 % und 13 % seit der Covid-19-Pandemie), ist das Thema Geschlecht als soziale Determinante der psychischen Gesundheit ein zentrales Thema in den Überlegungen der öffentlichen Politik.
Laut dem 2022 in Frankreich veröffentlichten Informationsbericht der Nationalversammlung über die psychische Gesundheit von Frauen sind Frauen im Durchschnitt doppelt so häufig von Störungen betroffen, die zur Verschreibung von Psychopharmaka (Anxiolytika, Antidepressiva, Hypnotika usw.) führen: 10,71 % der Frauen gegenüber 6,05 % der Männer. Dieser Unterschied ist auch in der Arbeitswelt festzustellen: Laut der französischen Gesundheitsbehörde (Santé publique France) sind psychische Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit bei Frauen (6 %) doppelt so hoch wie bei Männern (3 %). Diese Unterschiede haben mehrere Ursachen, wie z. B. stärkere Hormonschwankungen bei Frauen als bei Männern, die Existenz von Erkrankungen, die speziell Frauen betreffen und die erst seit kurzem erforscht werden, sowie Umwelt- und Gesellschaftsfaktoren, die sich auf Frauen in besonderer Weise auswirken („Mental Load“, sexuelle Gewalt, Diskriminierung usw.).
Was sind die 3 wichtigsten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Frauen?
Herausforderung Nr. 1: Phasen der Anfälligkeit im Laufe des Lebens berücksichtigen, die eng mit hormonellen Schwankungen verbunden sind
Weibliche Hormone wie Progesteron oder Östrogen sind für die Regulierung des Menstruationszyklus sowie während der Schwangerschaft von entscheidender Bedeutung. Sie können aber auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Frauen haben – und das während ihres gesamten Lebens. Von der Pubertät über die Menopause, die prämenstruellen Phasen und die Schwangerschaft kann der stark schwankende Hormonspiegel zu Ängsten und sogar Depressionen führen.
Die postpartale Depression beispielsweise ist eine der häufigsten Komplikationen nach der Entbindung und eine der Hauptursachen für Selbstmord im Falle elterlicher Sterblichkeit. Obwohl die Ursachen noch nicht genau bekannt sind, gibt es zwei Hypothesen, die das Auftreten dieses Syndroms erklären könnten: Schwankungen der Steroidhormone (Östrogen und Progesteron) und eine abnormale Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN). Im dritten Trimester der Schwangerschaft ist der Spiegel der Steroidhormone um das 10- bis 50-fache erhöht. Die HHN-Achse, deren Aufgabe es ist, den Hormonhaushalt als Reaktion auf Stresssignale anzupassen, wird durch die hohe Produktion dieser Hormone überstimuliert. Während und nach der Geburt fällt dieser Hormonspiegel rapide ab, wodurch die Aktivität der HHN-Achse gestört wird. Diese Störung kann zu schweren depressiven Episoden und im schlimmsten Fall sogar Selbstmord führen.
Im Fall der postpartalen Depression sind die Ergebnisse mehrerer Studien zu neuen Behandlungsmethoden wie Neurosteroiden vielversprechend. Im Allgemeinen ist die Versorgungslage von Frauen in Bezug auf ihre psychische Gesundheit und insbesondere an den Wendepunkten ihres Lebens jedoch noch sehr heterogen. Die Erleichterung der Erkennung und Begleitung von psychischen Störungen in den mit dem Hormonzyklus verbundenen sensiblen Phasen des Lebens einer Frau ist daher für ihre Behandlung zentral. Die Automatisierung und Erstattung bestimmter Konsultationen in wichtigen Lebensphasen könnte beispielsweise einen ersten Lösungsansatz bieten.
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Herausforderung Nr. 2: die Behandlung spezifischer Gesundheitsprobleme verbessern, die psychisches Leiden verursachen
Mehrere Krankheiten, die speziell Frauen betreffen, können sich auf die psychische Verfassung der Patientinnen auswirken. Dazu gehören beispielsweise Endometriose oder das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS).
Endometriose ist zwar eine häufige Erkrankung, die etwa 10 % der Frauen im gebärfähigen Alter betrifft, doch die Forschung daran ist noch jung. Tatsächlich braucht es durchschnittlich sieben Jahre, bis eine Patientin die Diagnose Endometriose erhält, was zu teilweise irreversiblen Schäden führen kann. Die Symptome dieser Erkrankung sind vielfältig: Dysmenorrhoe, Dyspareunie, Harnwegs- und Verdauungsbeschwerden, Unfruchtbarkeit… Und sie können psychologische Störungen wie Angstzustände zur Folge haben.
Neben den körperlichen Symptomen können Angststörungen auch andere Ursachen haben: Stress durch die Erwartung von Schmerzen, Angst davor, sich für seine Symptome rechtfertigen zu müssen, oder auch Angst davor, keine Kinder zu bekommen. Diese Beschwerden können zusammen mit der chronischen Müdigkeit, die durch die Krankheit hervorgerufen wird, zur teilweisen Isolation oder sogar zum kompletten Rückzug aus dem sozialen Leben führen und depressive Zustände hervorrufen.
Da medizinische Fehldiagnosen sehr oft die Hauptursache für diese depressiven Zustände sind, würde eine bessere Kenntnis der mit dem weiblichen Körper verbundenen Krankheiten die Versorgung der Patientinnen sowohl auf physischer als auch auf psychologischer Ebene verbessern. Die Schaffung von Partnerschaften mit privaten oder öffentlichen Akteuren bei der Sensibilisierung und Aufklärung der Bevölkerung über frauenspezifischen Krankheiten würde eine bessere Kenntnis und damit einen besseren Umgang mit dieser Problematik ermöglichen.
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Herausforderung Nr. 3: die Auswirkungen von Umwelt- und Gesellschaftsfaktoren auf die psychische Gesundheit von Frauen verringern
Über den physiologischen Aspekt hinaus kann die psychische Gesundheit von Frauen auch durch den gesellschaftliche Kontext stark beeinflusst werden.
Zu nennen sind hier insbesondere die persönliche und berufliche Überlastung, die zu Burnout führen kann, sexuelle und häusliche Gewalt, berufliche Unsicherheit, Diskriminierung oder auch Belästigung am Arbeitsplatz.
Burn-out kann als ein Zustand der körperlichen, emotionalen und geistigen Erschöpfung definiert werden. Aufgrund des sozialen Drucks, dem Frauen im beruflichen und persönlichen Umfeld ausgesetzt sind, tritt Burnout bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Denn während die Hausarbeit noch weitgehend von Frauen erledigt wird, haben diese nun Zugang zu Positionen mit größerer Verantwortung, wodurch sich das Risiko von Erschöpfungszuständen erhöht. Die körperlichen Auswirkungen können sich in Schlafstörungen, Krämpfen, Migräne, Schwindel oder Essstörungen wie Anorexie äußern.
Andere gesellschaftliche und umweltbedingte Faktoren können sich negativ auf die psychische Gesundheit von Frauen auswirken. Laut dem französischen Gesundheitsbarometer 2016 gaben beispielsweise 19 % der Frauen im Alter von 18-69 Jahren an, im Laufe ihres Lebens mit erzwungenem Geschlechtsverkehr oder dem Versuch dazu konfrontiert worden zu sein, im Vergleich zu 5 % bei den Männern. Diese Belastungen können erhebliche psychologische Folgen für die Opfer haben, die unter Umständen lebenslange Schäden davontragen.
Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, die Frauen im beruflichen und persönlichen Bereich erleben, haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihre Lebensqualität und ihr psychologisches Wohlbefinden. Die Schaffung von Gesprächs- und Unterstützungsangeboten für Frauen sowie die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz, die die psychische Gesundheit von Frauen fördern, wären erste Ansätze zur Lösung dieses Problems. Darüber hinaus könnte die Finanzierung kostenloser psychologischer Unterstützungsprogramme dazu beitragen, dass Frauen in prekären Situationen Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten.
Die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen nehmen ab, doch bleiben einige physiologische und gesellschaftliche Unterschiede bestehen. Frauen sind anfälliger für hormonelle Schwankungen, die ihre Gewohnheiten im Laufe ihres Lebens verändern: Pubertät, Schwangerschaft, Wochenbett, Menopause… Darüber hinaus sind Frauen von Krankheiten wie Endometriose oder PCOS betroffen. Aus all diesen Gründen ist die psychische Gesundheit von Frauen – die mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ungleichheiten einhergeht – ein sehr aktuelles Thema, das eine angemessene Aufmerksamkeit und Begleitung auf allen Ebenen erfordert: Gesundheitsfachkräfte, Patientenorganisationen, Pharmaunternehmen, Human Resources, Behörden usw. Wir von Alcimed können Sie bei der Umsetzung von Innovationsprojekten im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit von Frauen und der Frauengesundheit allgemein begleiten. Zögern Sie nicht, unser Team zu kontaktieren!
Über die Autorin,
May-Lise, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich