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Langwirksame, injizierbare antiretrovirale Medikamente: mehr als eine Änderung der Formulierung

Veröffentlicht am 06 März 2025 Lesen 25 min

Mit der Verfügbarkeit des ersten zugelassenen Medikaments, Azidothymidin (AZT), hat sich die Behandlung von Menschen mit einer Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) Infektion stark verbessert. Die zahlreichen Innovationen haben zu signifikanten Fortschritten in der Versorgung geführt und die Belastung der HIV-Patienten deutlich reduziert. Zu den Entwicklungen zählt die Vereinfachung der oralen Behandlung, welche die Zusammenfassung antiretroviraler Medikamente in einer einzigen Tablette umfasst. Des Weiteren ist eine Reduzierung der Behandlungen von der Zweifach- zur Dreifachtherapie zu verzeichnen, sowie die Entwicklung neuer galenischer Formen. In Frankreich ist seit Ende 2021 eine duale, injizierbare antiretrovirale Therapie mit verzögerter Wirkstofffreisetzung auf dem Markt erhältlich. Die injizierbare antiretrovirale Therapie veranschaulicht, dass eine Modifikation der Darreichungsform zu einer substanziellen Veränderung der Versorgung von HIV-positive Patienten führen kann.

Was sind langwirksame injizierbare Medikamente?

Die injizierbare langwirksame (long acting, LA) Therapie basiert auf der Kombination von antiretroviral wirksamen Medikamenten, die bereits in den aktuellen oralen Behandlungen zum Einsatz kommen. Durch Modifikation ihrer galenischen Form können diese Molekülkombinationen nun intramuskulär verabreicht werden, wobei ein verlängerter Wirkmodus zum Tragen kommt, der eine kontinuierliche Verabreichung des Medikaments über zwei Monate ermöglicht. Die Umstellung auf eine injizierbare Lösung erweist sich in verschiedenen klinischen Studien als ebenso wirksam wie eine tägliche Dreifachtherapie.

Derzeit ist in Frankreich lediglich die Kombination aus Cabotegravir (einem Integrase-Hemmer) und Rilpivirin (einem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer) als injizierbare LA-Kombination verfügbar, wobei zukünftig auch andere Kombinationen entwickelt werden könnten. Als vielversprechend erweisen sich zudem die Ergebnisse, welche mit Lenacapavir, einem Kapsid-Inhibitor, erzielt wurden. Dessen Anwendung erfolgt subkutan in Form einer alle sechs Monate zu verabreichenden Injektion.

Welche Vorteile haben langwirksame, injizierbare antiretrovirale Medikamente für HIV+ Patienten?

Verbesserte Therapietreue

Obwohl die „All-in-One“-Behandlungen, wie beispielsweise das „Single-Tablet Treatment Regimen“ (STR), eine Vereinfachung darstellen, kann die tägliche Einnahme einer oralen Tablette als einschränkend empfunden werden. In der Tat bedingen orale antiretrovirale Behandlungen eine rigide Einhaltung der Einnahme einer oder mehrerer Tabletten zu einer festgelegten Zeit pro Tag. Eine nachlassende Adhärenz kann bei Patienten rasch zu gravierenden gesundheitlichen Konsequenzen führen, insbesondere im Kontext bestimmter Therapieklassen wie den nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern.

Injizierbare LA-Therapien stellen folglich eine innovative Option für Patienten dar, um die Therapietreue zu fördern (weniger einschränkende Injektionen als die tägliche Einnahme von Tabletten). Diese Vorteile sind insbesondere für Patienten von Interesse, die häufig reisen. Die injizierbare LA-Therapie ermöglicht es ihnen, das Risiko einer vergessenen Medikamenteneinnahme oder eines leeren Medikamentenvorrats zu minimieren.

Mehr Gelassenheit im Alltag

Die Akzeptanz der eigenen Erkrankung stellt für HIV+ Menschen eine weitere Herausforderung dar. Die Betroffenen müssen lernen, mit dem Virus zu leben, wobei während der Behandlung eine schwierige emotionale Reise durchstanden werden muss. Die tägliche Einnahme einer Pille kann eine fortwährende Reminiszenz an den eigenen HIV+ Status darstellen und somit eine Quelle des Leids sein.

Die Einnahme von Medikamenten in Anwesenheit anderer kann zudem dazu führen, dass Patienten die Offenlegung ihres HIV+ Status sowie die damit einhergehende Stigmatisierung fürchten. Diese Furcht kann bei den Betroffenen zu Angst und Stress führen. Für diese Patientengruppe kann eine zeitlich gestaffelte Einnahme ihrer Medikamente eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken.

Langfristige Probleme und Zukunftsaussichten

Anspruchsberechtigung von Patienten

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Patienten für eine injizierbare LA-Therapie geeignet sind. Diese Art von Kombination wird derzeit nur für stabilisierte Patienten empfohlen. Daher kann die injizierbare Kombination nicht als Erstlinienbehandlung für neu diagnostizierte HIV+ Patienten empfohlen werden, die vorzugsweise auf orale Therapien ausgerichtet ist.

Ein weiterer zulassungsrelevanter Aspekt betrifft die Nachsorge der Patientinnen und Patienten. Die Umstellung auf eine injizierbare LA-Behandlung bedingt eine verlängerte Nachbeobachtung des Patienten, was mit einem erhöhten Risiko einhergeht, den Patienten aus den Augen zu verlieren. Diese Zeitspanne kann für den behandelnden Arzt ein Hindernis darstellen, da er befürchten muss, dass einige Patienten den nächsten Termin nicht wahrnehmen.

Durchführung und Steuerung der Behandlung

Die in Frankreich bereits vermarktete injizierbare duale LA-Therapie sieht eine Injektion der beiden antiretroviralen Medikamente in den ersten drei Monaten der Behandlung im Krankenhaus vor, wobei eine Injektion pro Monat verabreicht wird. Nach Ablauf dieses Zeitraums erfolgt die Verabreichung der Injektionen in zwei-monatigem Intervall, wobei die Nachsorge ambulant erfolgen kann. Im Anschluss muss der Patient seine Behandlung in einer Apotheke abholen und erhält die Injektion durch eine zugelassene Krankenschwester.

Es ist zu vermerken, dass die hier beschriebene Form der Versorgung, die eine Kombination aus ambulanter und stationärer Behandlung darstellt, einen neuen Standard für Patienten, die eine injizierbare LA-Behandlung erhalten, etablieren könnte. Allerdings kann dieses Verfahren als kompliziert und einschränkend wahrgenommen werden, insbesondere für Patienten, die ins Krankenhaus fahren müssen, sich die Behandlung nicht selbst verabreichen können und auf eine zugelassene Krankenschwester angewiesen sind.

Hin zu injizierbarer PrEP?

Die hier beschriebene neue Darreichungsform könnte auch auf andere therapeutische Strategien wie die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) übertragen werden. Die seit 2016 in Frankreich zugelassene PrEP basiert auf dem Prinzip der Prävention als Therapie. Eine vorbeugende antiretrovirale Behandlung kann von HIV-negativen Menschen mit hohem HIV-Risiko eingenommen werden, um eine Virusübertragung zu verhindern. Die einzige derzeit für diese Indikation zugelassene Kombinationstherapie umfasst zwei nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, nämlich Emtricitabin und Tenofovir Disoproxil. Die Behandlung erfolgt in Form von Tabletten, welche oral eingenommen werden. Im Dezember 2021 wird die Food and Drug Administration (FDA) als erste nationale Behörde die PrEP-Injektion als Alternative zur Tablette zulassen. Die Behandlung erfolgt mittels einer injizierbaren Suspension mit verlängerter Wirkstofffreisetzung, welche auf Cabotegravir basiert.

Im Rückblick auf die Entdeckung von HIV vor vierzig Jahren wird ersichtlich, dass die Herausforderungen bei der Patientenversorgung denen von chronischen Krankheiten ähneln. Diesbezüglich sind insbesondere die Faktoren Compliance, Lebensqualität oder Verbindung zwischen Praxen und Krankenhaus von Relevanz. Die Entwicklung neuer Formulierungen erlaubt die Anwendung neuer Behandlungsmethoden, welche die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessern, ohne dass sich die klinischen Indikatoren verschlechtern. Die jüngsten Fortschritte werfen erneut Fragen im Zusammenhang mit der Organisation der Patientenversorgung auf. Dies umfasst Synergien mit dem Pflegepersonal, das Verständnis des Patienten für die Problematik der Krankheit sowie die Nachsorge „fern vom Spezialisten“ sowie weitere Aspekte. Darüber hinaus gibt es neue Fortschritte in der HIV/AIDS-Forschung, beispielsweise jüngste klinische Versuche mit einem mRNA-Impfstoff, die darauf abzielen, endlich eine heilende Lösung zu entwickeln.


Über den Autor, 

Hervé, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich

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