Healthcare

Sind neue, ergebnisorientierte Erstattungsmodelle für innovative Arzneimittel erforderlich?

Veröffentlicht am 19 Mai 2020 Lesen 25 min

Der Preis innovativer neuer Arzneimittel ist in der Regel hoch. Der Begriff umfasst beispielsweise Arzneimittel für neuartige Therapien, wie Gen- und Zelltherapien, sowie alle Arzneimittel und Produkte, die mit der Präzisionsmedizin in Verbindung stehen. Dies eröffnet die Möglichkeit, bislang unheilbare Krankheiten zu behandeln und zu heilen. Diese Innovation ist jedoch häufig mit hohen Kosten verbunden. Einige dieser Behandlungen sind mit Kosten von mehr als einer Million Euro pro Patient verbunden. Ein Beispiel hierfür ist Zolgensma, ein Gentherapeutikum von AveXis (Novartis) gegen spinale Muskelatrophie, welches im Jahr 2019 durch die FDA zugelassen wurde. In Anbetracht der hohen Kosten ist zu hinterfragen, ob die nationalen Krankenversicherungssysteme in der Lage sind, diese Medikamente zu finanzieren, insbesondere da sie oft nur in bestimmten Fällen wirksam sind. In einem „volumenbasierten“* Erstattungsmodell besteht die Möglichkeit, dass Ärzte selektiv wirkende Medikamente zu hohen Kosten pro Patient nur dann verschreiben, wenn sie sich der Wirksamkeit sicher sind. Die Entwicklung dieser innovativen Arzneimittel erfordert daher, über das traditionelle „volumenbasierte“ Erstattungsmodell hinauszudenken und zu einem „ergebnisbasierten“** Erstattungsmodell überzugehen. Letzteres würde es ermöglichen, teure und selektiv wirkende Arzneimittel in mehr Fällen zu verschreiben, selbst wenn Zweifel an deren Wirksamkeit bestehen.

Das ergebnisorientierte Erstattungsmodell für innovative Arzneimittel: ein Win-Win-Modell?

Im Rahmen eines ergebnisorientierten Erstattungsmodells erfolgt die Vergütung des Arzneimittelherstellers lediglich bei erfolgreicher Behandlung und positiver Auswirkung auf den Gesundheitszustand des Patienten. Die Preisgestaltung des Medikaments orientiert sich am Nutzen, den es für die Patienten hat. In Bezug auf die Ausgestaltung ergebnisorientierter Erstattungsmodelle lassen sich verschiedene Ansätze unterscheiden. Exemplarisch seien folgende Modelle genannt:

  • Kostenbeteiligung: Hier bieten die Hersteller den Kostenträgern einen vollständigen oder teilweisen Rabatt auf die ersten Behandlungszyklen für anspruchsberechtigte Patienten an.
  • Risikobeteiligung: Der Hersteller bietet eine teilweise Kostenerstattung für Patienten an, die nicht auf die Behandlung ansprechen.
  • Erfolgsbonus: Der Hersteller zahlt nur für Patienten, die positiv auf die Behandlung ansprechen.
  • Ergebnisorientierte Erstattung: Der Hersteller erstattet den Kostenträger vollständig für Patienten, die nicht auf die Behandlung ansprechen.

Die Vorteile des ergebnisorientierten Erstattungsmodells für innovative Arzneimittel sind mannigfaltig. Ein weiterer Vorteil ist die erleichterte Zugänglichkeit zu innovativen und kostspieligen Arzneimitteln, da die Erstattungsverhandlungen zwischen Herstellern und Kostenträgern beschleunigt werden. Des Weiteren führt es zu einer kooperativeren Zusammenarbeit zwischen Kostenträgern und Herstellern. Des Weiteren eröffnet das Modell den Ärzten neue Behandlungsmöglichkeiten und gewährleistet eine größere Transparenz hinsichtlich der Kosten und des Nutzens.

Ein Wandel, der in mehreren Ländern stattfindet und von den Pharmaunternehmen selbst vorangetrieben wird

Die Arzneimittelhersteller selbst haben bei Projekten zur ergebnisorientierten Erstattung eine Vorreiterrolle gespielt. Roche hat beispielsweise in mehreren Ländern das „Personalized Reimbursement Model“ (PRM) eingeführt. Es zielt darauf ab, die Preise von Arzneimitteln nach dem Nutzen zu bemessen, den sie den Patienten in verschiedenen Indikationen bringen. Eine solche flexible Preisgestaltung soll sicherstellen, dass Patienten dauerhaft Zugang zu innovativen Medikamenten haben.

In Frankreich werden einige pharmazeutische Laboratorien für bestimmte Behandlungen auch nach ihrer Effizienz bezahlt, nachdem mit den französischen öffentlichen Stellen leistungsbezogene Verträge geschlossen wurden: zum Beispiel ein Medikament von Celgene gegen das Multiple Myelom, das 8 900 € pro Monat kostet und nur in einem Drittel der Fälle wirksam ist. Ein zweites Beispiel ist ein Medikament von Gilead gegen Hepatitis C, das 41 000 € pro Patient für eine 12-wöchige Behandlung kostet und das für etwa 5 % der HCV-Patienten einen erheblichen Zusatznutzen, für 35 % der Patienten einen gewissen Zusatznutzen und für 60 % der Patienten keinen Zusatznutzen hat.

Unter den Ländern, die ein ergebnisorientiertes Erstattungsmodell implementieren, nimmt Italien eine Vorreiterrolle ein. Seit dem Jahr 2006 werden seitens der italienischen Arzneimittelbehörde (AIFA) verschiedene experimentelle Ansätze in Bezug auf leistungsbezogene Verträge für spezifische Arzneimittelgruppen evaluiert. Ein kürzlich eingeführtes Modell betrifft eine CAR-T-Zelltherapie gegen Leukämie von Novartis, Kymriah. Die Innovation besteht in der Ausgestaltung der Zahlungen, welche in drei Raten erfolgen: bei Aufnahme in das Behandlungsprogramm, während der laufenden Behandlung und im fünften Jahr des Überlebens des Patienten. Seit dem Jahr 2019 wird die gleiche Behandlung auch in Deutschland auf der Grundlage eines Leistungsvertrags durchgeführt. Die Kosten für die Therapie (320.000 € pro Patient) werden zwischen den Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmen Novartis aufgeteilt.

Ein Erstattungsmodell für innovative Arzneimittel, das angepasst werden muss

Obgleich das Modell einen beschleunigten Zugang zu innovativen Therapien ermöglicht, ist eine Anpassung des Gesundheitssystems erforderlich, um den Nutzen der Therapien für die Patienten messen zu können. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Arzneimittelanbietern und Gesundheitsstrukturen ist erforderlich, um eine kontinuierliche Überwachung der Patienten in Echtzeit zu gewährleisten. Die gesammelten Daten erlauben die Bestimmung der Anzahl derjenigen Personen, die nicht auf die Behandlung ansprechen, sowie die Ermittlung des von den Krankenkassen zu zahlenden bzw. von den Herstellern zu erstattenden Betrags. Die Verarbeitung der Daten muss in einer Weise erfolgen, die das Patientengeheimnis wahrt, wobei die Einschaltung einer dritten Partei erforderlich ist.

Des Weiteren ist eine präzise Definition der Erfolgskriterien für eine Behandlung zwischen Herstellern und Kostenträgern erforderlich, was jedoch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist. Bei chronischen Krankheiten können die Kriterien unklar sein und viel Raum für Diskussionen lassen. Demgegenüber erscheint die Erfolgsmessung einer onkologischen Behandlung einfacher zu gestalten. Das Überleben über bestimmte Zeiträume stellt einen unbestrittenen Indikator dar.

Des Weiteren lässt sich annehmen, dass Ärzte Medikamente verschreiben könnten, ohne hinreichende Tests an potenziellen Patienten durchzuführen, sofern ein solches Erstattungsmodell Anwendung findet. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Preis für eine erfolgreiche Behandlung in einem „ergebnisbasierten“ Modell im Vergleich zu einem „volumenbasierten“ Modell voraussichtlich höher ausfällt, wenn die Pharmaunternehmen das volle oder teilweise Risiko für nicht funktionierende Behandlungen tragen.

Ein solches Erstattungsmodell ist in mehreren EU-Mitgliedstaaten sowie in den USA bereits Realität, wo eine Vielzahl von Vereinbarungen zwischen den Pharmaunternehmen und den Kostenträgern ausgehandelt wird. Auch in China findet das Modell seit 2014 zunehmend Anwendung, wobei verschiedene Hersteller ergebnisorientierte Systeme testeten, die jedoch lediglich auf den Selbstzahlermarkt abzielen. Das ergebnisorientierte Modell weist eine Reihe von Vorteilen auf, jedoch sind auch einige Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen die umfassende Datenerhebung im Gesundheitsbereich, die trotz der damit verbundenen Bedenken für die therapeutische Forschung nutzbar gemacht werden könnte, sowie die Überwachung der Patientengesundheit. Alcimed ist bestrebt, ihre Kundinnen und Kunden bei der Bewältigung dieser Transformationsprozesse zu unterstützen.

* Bei einem „volumenbasierten“ Erstattungsmodell wird der Arzneimittelhersteller nach der Anzahl der verschriebenen Arzneimittel bezahlt.

** Ein „ergebnisorientiertes“ oder „wertorientiertes“ Erstattungsmodell bezahlt den Arzneimittelhersteller nicht nach der Anzahl der verschriebenen Arzneimittel, sondern nach dem Nutzen, den sie den Patienten bringen.


Über die Autorin, 

Diane, Senior Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Deutschland

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