Wie funktioniert die selbsthärtende Haut der Seegurke?
Auf den ersten Blick scheint die Seegurke eine ideale Beute zu sein, da sie sich nur sehr langsam bewegt. Doch sie hat ein ganzes Arsenal an Abwehrmechanismen entwickelt, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Einer dieser Mechanismen ist die Veränderung ihrer Haut: Indem sie ihre Haut verhärtet, bildet sie augenblicklich eine Art Rüstung, wenn sie sich bedroht fühlt. Neuere Studien zeigen, dass dieser dynamische Mechanismus mit der besonderen Struktur ihres kollagenhaltigen Gewebes zusammenhängt. Dieses besteht aus starren Kollagenfibrillen, die in einer viskoelastischen Matrix aus Fibrillin-Mikrofibrillen eingebettet sind. Sobald sich das Tier verteidigen will, lösen neurosekretierte Proteine eine Reaktion aus, bei der sich die Kollagenfibrillen mit der Fibrillin-Matrix „vernetzen“ und die Haut augenblicklich verhärten.
Diese spezielle Struktur hat den Weg für neue intelligente Materialien geebnet: sogenannte dynamisch gebundene Nanokomposite (Dynamic Bond Nanocomposites, DBN). DBNs bestehen aus drei Hauptelementen: einer flexiblen Polymermatrix, starren Nanokristallen und funktionellen Gruppen, die in die Matrix integriert sind und auf Veränderungen der äußeren Bedingungen reagieren.
Ein selbsthärtendes Material, das auf Feuchtigkeit reagiert
Ein vom Adolphe Merkle Institut der Universität Freiburg entwickeltes Material basiert auf einem flexiblen Polymer (wie Latex, Polyvinylacetat, Polybutylmethacrylat) und Cellulose-Nanofasern. Zwischen den Nanofasern können Wasserstoffbrückenbindungen entstehen:
- Sind die Bindungen vorhanden, ist das Material fest.
- Werden sie gelöst, wird das Material weich.
Der Vorteil dieses Systems: Es kann in feuchter Umgebung aktiviert werden. Beim Kontakt mit Wasser lösen sich die Bindungen, und das Material wird weich. Es kehrt in seine ursprüngliche Form und Festigkeit zurück, sobald es wieder aus dem Wasser entfernt wird.
Dieses Material könnte ideal für implantierbare medizinische Geräte sein. Solche Objekte könnten vom Arzt außerhalb des Körpers leicht in fester Form bearbeitet werden, ohne beim Einsetzen das weiche Gewebe zu verletzen.
Ein selbsthärtendes Material, das auf Temperatur reagiert
Ein zweiter, von der Case Western Reserve University in Cleveland verfolgter Ansatz, basiert auf der Integration von Cellulose-Nanokristallen in eine sogenannte LCST-Polymermatrix (Lower Critical Solution Temperature). Wird das Material auf eine Temperatur über der LCST erhitzt, kollabieren die Polymerketten mit den eingelagerten Nanokristallen. Dieser Prozess fixiert die Nanofasern und macht das Material fest. Durch die Verwendung von LCST-Polymeren, deren Ketten zwischen Raum- und Körpertemperatur kollabieren, hat das Forschungsteam dünne Materialien entwickelt, die innerhalb weniger Sekunden bei Hautkontakt aushärten und wieder weich werden, sobald sie entfernt werden.
Dynamisch gebundene Nanokomposite eröffnen spannende Perspektiven für Anwendungen am menschlichen Körper: von leicht implantierbaren medizinischen Geräten ohne Risiko innerer Verletzungen in feuchter Umgebung bis hin zu temperaturgesteuerten Materialien. Auch andere Auslöser wie Licht, pH-Wert oder elektrische Felder werden derzeit erforscht.
Bioinspirierte intelligente Materialien versprechen zahlreiche neue Entwicklungen – insbesondere im Gesundheitswesen. Ob haftende oder selbstheilende Materialien – unsere nächsten Beiträge in dieser Reihe über intelligente Materialien werden Sie sicherlich begeistern.
Über den Autor,
Rayan, Senior Consultant in Alcimeds Chemie- und Materialteam in Frankreich