Chemie und Material

Bionik und intelligente Materialien (2/3): Wie Weichtiere als Inspiration für Kleber dienten, die unter natürlichem Licht aushärten

Veröffentlicht am 24 April 2025 Lesen 25 min

Die Kombination aus intelligenten Materialien und Bionik bietet großes Potenzial für technologische Durchbrüche.

Intelligente Materialien sind Werkstoffe, die sich unter dem Einfluss äußerer Reize an ihre Umgebung anpassen können. Und in der Natur finden sich Prozesse, die mit geringem Energieaufwand funktionieren. Die Nutzung von Reizen geringer Intensität – sogenannte „Soft Trigger“ – eröffnet somit neue technologische Perspektiven, wie etwa selbsthärtende intelligente Materialien, die wir bereits in unserem vorherigen Artikel vorgestellt haben.
Dieses Mal widmen wir uns einer weiteren Anwendung der Bionik im Bereich intelligenter Materialien. Die Untersuchung bestimmter Weichtiere hat zur Entwicklung lichtaushärtender Kleber geführt – eine vielversprechende Technologie, die sich einfach und kostengünstig nutzen lässt.

Unser Chemie- und Materialteam stellt in diesem Artikel diese zukunftsweisende Technologie vor, die insbesondere in der Medizin Anwendung finden könnte.

Woher kommt die starke Haftkraft von Weichtieren?

Die außergewöhnlichen Hafteigenschaften bestimmter Weichtiere, die sich unabhängig von Feuchtigkeit, Wind oder Temperaturbedingungen an jeder Felswand festsetzen können, haben maßgeblich zur Entwicklung lichtaushärtender Kleber beigetragen.

Ein Beispiel dafür ist die Miesmuschel, die sich in Sekundenschnelle an nassen Felswänden festheftet, um nicht von der Strömung weggespült zu werden. Dies gelingt ihr durch ihren Byssus – ein Bündel von Fasern, das die Muschel sekretiert, um sich an Oberflächen zu verankern. Diese Fasern zeichnen sich durch außergewöhnliche Festigkeit, Elastizität und Haftfähigkeit aus.

Zahlreiche Forschungsarbeiten haben die entscheidende Rolle einer bestimmten Molekülgruppe in diesem Phänomen nachgewiesen: Catechol – eine aromatische Verbindung, bestehend aus einem Benzolring und zwei Hydroxygruppen (OH). Die Hafteigenschaften catecholbasierter Materialien wie dem Byssus der Muschel beruhen auf zwei wesentlichen Phänomenen: der Oberflächenadsorption und der Materialkohäsion. Die Adsorption des Materials erfolgt dabei über verschiedene Mechanismen – je nach Beschaffenheit des Substrats:

  • Wasserstoffbrücken oder koordinative kovalente Bindungen bei anorganischen Oberflächen,
  • Stapelungen aromatischer Gruppen im Catechol oder kovalente Bindungen bei organischen Oberflächen.

Darüber hinaus ermöglichen die hydrophoben Eigenschaften der Gruppe eine Adsorption sogar auf nassen Oberflächen.

In einem zweiten Schritt führt die Vernetzung des Materials – ausgelöst durch den pH-Wert oder das Vorhandensein von Metallionen – zur Aushärtung des Klebstoffs und verleiht ihm gute mechanische Eigenschaften.

So haben mehrere Forscherteams innovative lichtaushärtende Kleber auf der Basis von Molekülen mit Catecholgruppen wie DOPA oder Tyrosin entwickelt.

Stärkere lichtaushärtende Kleber für die Chirurgie

DOPA wurde vom Forschungsteam um Dr. Daniel Ruiz Molina am ICN2-Institut der Universität Katalonien zur Entwicklung lichtaushärtender Klebstoffgele verwendet. Diese Gele kombinieren DOPA (für die Haftung) mit lichtempfindlichen Polymeren (für die Kohäsion), wobei potenzielle toxische Wirkstoffe wie Methacrylate – die Hautreizungen hervorrufen können – gezielt vermieden wurden. Einige dieser Gele härten unter natürlichem Licht in weniger als einer Minute aus.

Auch wenn diese Materialien noch in der Entwicklung sind und ihre Haftung auf der Haut weiter verbessert werden muss, ebnen sie doch den Weg für neue biokompatible Klebetechnologien, die herkömmliche Nahtmethoden ersetzen könnten.

In Australien hat Dr. Werkmeister von der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) in Canberra mit Tyrosin gearbeitet – einer Aminosäure, die für die Synthese von Katecholaminen wie DOPA unerlässlich ist. Tyrosin kann durch Redoxreaktionen nahezu augenblicklich Di- oder Tri-Tyrosin-Moleküle bilden. Diese Eigenschaft macht tyrosinreiche Proteine zu hervorragenden Kandidaten für die schnelle Bildung biokompatibler Polymernetzwerke.

Das Team von Dr. Werkmeister hatte die Idee, Ruthenium (Ru(II)²⁺) in eine tyrosinreiche Formulierung einzubringen. Ruthenium schafft unter sichtbarem Licht eine reduzierende Umgebung, die die Vernetzung von Tyrosin begünstigt und somit zur Aushärtung der Struktur führt. Diese Formulierung ermöglicht die Herstellung von Klebern, die fünfmal stärker sind als herkömmliche chirurgische Kleber – mit Aushärtungszeiten von unter einer Minute unter einer 300-Watt-Lampe. Wie bei dem Gel, das an der Universität Katalonien entwickelt wurde, könnte auch dieser Klebstoff eine echte Alternative zu klassischen Nahttechniken darstellen.

Diese lichtaushärtenden Kleber zeichnen sich bisher vor allem durch ihre Elastizität und Produktionszeit aus, und klinische Tests stehen noch aus. Dennoch könnten sie das Ende herkömmlicher Wundpflaster oder Fadennähte einläuten und neue Klebetechniken ermöglichen, die mit wenig Lichtenergie aktiviert werden können – was sie ideal für den Einsatz bei den Patienten zu Hause machen würde.

Catecholgruppen sind der Schlüssel zu den starken Hafteigenschaften dieser Materialien, die mit geringem Energieaufwand aushärten. Weitere intelligente Materialien, die unter anderen „natürlichen“ Bedingungen aushärten, werden im Rahmen bioinspirierter Innovationsprojekte derzeit entwickelt. Viele Anwendungsmöglichkeiten – insbesondere im medizinischen Bereich, aber nicht nur dort – gilt es noch zu erkunden. Erfahren Sie mehr zu bioinspirierten Materialien im dritten Teil unserer Reihe.


Über den Autor, 

Rayan, Senior Consultant in Alcimeds Chemie- und Materialteam in Frankreich

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