Schnelleres und effizienteres Protokolldesign dank KI
Die Konzeption einer klinischen Studie erfordert die Definition einer Reihe von Elementen, darunter das zu untersuchende Problem, das Zielpatientenprofil, die Orte der Studiendurchführung sowie die Anzahl der einzuschließenden Patienten. Die Analyse der Resultate früherer Studien kann als Leitlinie für die genannten Entscheidungen dienen. Die Definition der genannten Elemente kann jedoch aufgrund der Vielzahl an Informationsquellen zu klinischen Studien einen hohen Aufwand darstellen.
Methoden der natürlichen Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) stellen einen KI-Bereich dar, welcher wesentliche Informationen aus unstrukturierten Dokumenten, wie beispielsweise medizinischen Berichten, extrahieren. Die Anwendung von NLP auf Datenbanken klinischer Studien und Real World-Daten erlaubt eine Optimierung der Protokolle für neue Studien.
Eine weitere potenzielle Anwendung von KI im Protokolldesign wurde vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt. Im Rahmen einer Studie wurde eine algorithmische Methode namens verstärkendes Lernen eingesetzt, das auf „Agenten“-Lernen basiert, welche für Erfolge und Misserfolge mit Belohnungen bzw. Strafen versehen wird. Ziel war die Bestimmung der Dosis von Chemo- und Strahlentherapien, welche Patienten in einer klinischen Studie verabreicht werden sollen.
Patientenrekrutierung mittels KI
Der Mangel an Patienten, die an einer klinischen Studie teilnehmen, ist mitunter ein Grund für das Scheitern einer Studie. Allerdings haben nicht alle Patienten, die für eine Teilnahme in Frage kommen, auch tatsächlich Zugang zu einer Studie. In einem Artikel der American Cancer Society wird dargelegt, dass weniger als fünf Prozent der Erwachsenen, die für eine Krebsstudie in Frage kommen, daran teilnehmen.
Der Einsatz von KI könnte dazu beitragen, die Identifizierung und anschließende Rekrutierung geeigneter Patienten für eine Studie zu optimieren, indem die Analyse von Patienteninformationen beschleunigt wird. Das Cincinnati Children’s Hospital Medical Center hat ein KI-System mit der Bezeichnung ACTES (Automated Clinical Trial Eligibility Screener) implementiert, welches auf NLP basiert und eine 34 % schnellere Identifizierung von Patienten ermöglicht als eine manuelle Methode. Der hier beschriebene Ansatz hat zudem dazu beigetragen, die Profile der rekrutierten Patienten zu diversifizieren.
Der umgekehrte Service, welcher den Zugang zu klinischen Studien für Patienten erleichtert, wird bereits von mehreren Unternehmen angeboten. Anwendungen wie NAVIFY Clinical Trial Match, entwickelt von Roche, oder MyStudyWindow, eingeführt von Boehringer Ingelheim im März 2020, nutzen NLP, um für einen bestimmten Patienten klinische Studien zu identifizieren. Dazu werden mehrere Parameter wie zum Beispiel Genomik analysiert.
Bessere Nachverfolgung klinischer Studien dank neuer Datenquellen
Im Rahmen einer klinischen Studie ist es in der Regel erforderlich, dass die Patienten die Studienstätte aufsuchen, um dort von qualifiziertem Personal betreut zu werden. Der Einsatz vernetzter mobiler Geräte, wie Smart Watches oder Mobiltelefone, erlaubt es Patienten, die Häufigkeit der Besuche an der Studienstätte zu reduzieren und die Beeinträchtigung ihres Alltags zu minimieren. Dadurch sind sie motivierter, bis zum Ende der Studie teilzunehmen. Ein Beispiel für die Anwendung dieser Methode ist eine kürzlich von Janssen initiierte klinische Studie, in welcher der Einfluss von Herzinsuffizienz auf die Gesundheit und Lebensqualität der Patienten untersucht wird, gegebenenfalls in Kombination mit Typ-2-Diabetes. Dabei werden persönliche Mobiltelefone der Patienten zur Fernabfrage von Informationen genutzt.
Ein weiterer Vorteil der Nutzung vernetzter Geräte besteht in der Möglichkeit der Echtzeitdatenerfassung. Durch den Einsatz von KI-Methoden während der Datenerfassung können besondere Ereignisse wie das Ende der Medikation oder das Auftreten von Nebenwirkungen während der Studie identifiziert werden. Allerdings muss die Zuverlässigkeit der Daten von den vernetzten Geräten gewährleistet sein, um die Validierung aller Ergebnisse durch die zuständigen Gesundheitsbehörden sicherzustellen.
Weitere potenzielle Anwendungsbereiche von KI in diesem Kontext umfassen Chatbots, welche Patientinnen und Patienten die Möglichkeit bieten, Fragen zu stellen und unmittelbar Antworten zu erhalten, sowie die Kommunikation von Nebenwirkungen eines Medikaments und eine beschleunigte Alarmierung des medizinischen Personals. Des Weiteren existieren innovative Konzepte wie der von AiCure entwickelte Assistent, welcher die korrekte Medikamenteneinnahme anhand eines Videos überprüft, auf welchem der Patient seine Medikamente einnimmt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einsatz von KI das Design von klinischen Studienprotokollen beschleunigt, die Patientenrekrutierung optimiert, eine individualisierte Betreuung jedes Patienten gewährleistet und Daten während der gesamten Studie generiert. Die genannten KI-Anwendungen erlangen vor dem Hintergrund, dass klinische Studien einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt umfassen und Misserfolge Milliarden von US-Dollar kosten können, eine hohe Relevanz.
Obwohl diese Anwendungen vielversprechend sind, ist ihr Einsatz mit Vorsicht zu betrachten. So kann beispielsweise die Anzahl der digitalisierten Studien für die Erstellung des Protokolls einer neuen Studie möglicherweise unzureichend sein. Des Weiteren kann die Analyse von Daten aus früheren Studien zu Verzerrungen führen, während die Zuverlässigkeit, der von vernetzten Geräten gelieferten Daten fraglich ist.
In der Folge obliegt es jedem einzelnen Pharmaunternehmen, die mit dem Einsatz von KI in klinischen Studien verbundenen Chancen zu evaluieren und durch die Bereitstellung einer umfassenderen Datenbasis zur Erhöhung der verfügbaren Datenmenge beizutragen.
Über die Autorinnen,
Amélie, Head of Data in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich
Axelle, Data Analyst in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich