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Welche neuen Medikamente gibt es gegen die Sichelzellkrankheit?

Veröffentlicht am 16 April 2025 Lesen 25 min

Obschon Millionen von Menschen weltweit von der Sichelzellkrankheit (SCD) betroffen sind, wurde diese von der Pharmaindustrie über Jahrzehnte vernachlässigt. Die FDA-Zulassung als Orphan Drug sowie die „Fast-Track“-Zulassung mehrerer Medikamente führten zu einer Revitalisierung des Interesses der Pharmaindustrie an der Sichelzellkrankheit. Im Jahr 2017 erteilte die FDA die Zulassung für Endari®, das erste SCD-Medikament seit 20 Jahren, welches die akuten Komplikationen der Krankheit reduzieren soll. Die erfolgte Zulassung ebnet den Weg für umfangreiche Investitionen in die Erforschung der Sichelzellkrankheit. Gegenwärtig befinden sich zahlreiche vielversprechende Programme in der Entwicklung. Im Folgenden wird seitens Alcimed ein Ausblick darauf geworfen, welche Akteure als Nächstes die Ziellinie überqueren und das Leben von SCD-Patienten erheblich verbessern werden.

Eine gar nicht so „ungewöhnliche“ seltene Krankheit

Jährlich werden global etwa 300.000 Neugeborene mit der Sichelzellkrankheit diagnostiziert, wobei der Großteil dieser Fälle in Afrika südlich der Sahara registriert wird. Die Prävalenz der Erkrankung beläuft sich auf mehrere Millionen Betroffene, sodass die Sichelzellkrankheit zu den häufigsten monogenen Erkrankungen weltweit zählt.

Der Begriff „Sichelzellenanämie“ (Sickle Cell Disease, SCD) bezeichnet eine Erkrankung, die durch eine Mutation des HBB-Gens verursacht wird. Die Sichelzellkrankheit wird als Erbkrankheit durch Mutationen im HBB-Gen verursacht. Diese Mutationen betreffen das Hämoglobin, welches eine essentielle Rolle beim Sauerstofftransport durch die roten Blutkörperchen spielt. Das betroffene Hämoglobin führt zu einer Verformung der roten Blutkörperchen, welche in der Regel eine kurze Lebensdauer aufweisen und eine Anämie verursachen. Des Weiteren neigen die sichelförmigen roten Blutkörperchen dazu, sich zu verklumpen, was eine Verlangsamung oder Blockierung des Blutflusses zur Folge hat. Die wichtigste Komplikation der Sichelzellkrankheit ist die Verstopfung der Blutgefäße, welche als vaskuläre Okklusionskrise (VOC) bezeichnet wird. Vasookklusive Krisen (VOCs) manifestieren sich in wiederkehrenden Episoden, die mit starken akuten Schmerzen einhergehen. Sie können zu fortschreitenden Organschäden und weiteren lebensbedrohlichen Komplikationen führen, darunter Infektionen, akutes Cor pulmonale und zerebrovaskuläre Insulte.

Ein noch erheblicher ungedeckter Bedarf

Bislang haben 3 Medikamente einen besonderen Einfluss auf die Behandlung der Krankheit

Im Verlauf der vergangenen Jahre konnten bedeutsame Fortschritte in der Behandlung der Erkrankung erzielt werden. Die Lebenserwartung von Patienten, die an SCD leiden, hat sich von 20 Jahren, welche in den 1970er Jahren als Lebenserwartung angegeben wurden, auf aktuell 50 Jahre erhöht.

Seit der Zulassung im Jahr 1998 stellt Hydroxyharnstoff nach wie vor die Standardtherapie dar, wobei die Sauerstoffversorgung des Körpers gewährleistet und die VOCs reduziert werden. Des Weiteren können Bluttransfusionen zur Behandlung der Anämie beitragen. Innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren wurden drei neu zugelassene Medikamente eingeführt, welche die Behandlungsmöglichkeiten für SCD-Patienten mit weniger Nebenwirkungen erheblich verbesserten. Hierbei handelte es sich um:

  • Das von Emmaus Medical entwickelte L-glutamine (Endari®) welches im Juli 2017 von der FDA zugelassen wurde und bei Patienten über fünf Jahren die Sichelbildung der roten Blutkörperchen sowie die VOCs reduzieren soll.
  • Crizanlizumab (Handelsname Adakveo®) wurde von Novartis entwickelt und von der FDA im November 2019 zugelassen. Der monoklonale Antikörper ist darauf ausgerichtet, die VOCs bei Patientinnen und Patienten über 16 Jahren zu reduzieren.
  • Im selben Monat erfolgte die Zulassung von Voxelotor (Oxbryta®) durch die FDA. Hierbei handelt es sich um ein von Pfizer entwickeltes kleines Molekül, welches zur Verringerung der Sichelzellenbildung und zur Verhinderung von Anämie bei Patienten über 12 Jahren eingesetzt wird.

Dennoch garantieren die derzeitigen SCD-Medikamente keine erfolgreiche Behandlung

Darüber hinaus stellt die Knochenmarktransplantation derzeit die Standardbehandlung in der Medizin dar. Allerdings ist das Verfahren invasiv, risikoreich und bietet keine Erfolgsgarantie. So finden weniger als 20 % der Patienten einen passenden Spender. Die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden für SCD zielen lediglich darauf ab, das Risiko von Komplikationen zu reduzieren und die Lebenserwartung zu verlängern. Dies führt jedoch zu einer verminderten Lebensqualität für die Patienten mit SCD. Die Betroffenen sind nach wie vor von starken Schmerzen geplagt und leiden unter wiederkehrenden VOCs. Im Durchschnitt manifestieren sich bei einem SCD-Patienten etwa fünf VOCs pro Jahr. Die Lebenserwartung ist im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung um 30 Jahre verkürzt. Zudem bestehen signifikante regionale Unterschiede. So sterben 50–90 % der Kinder mit SCD in Afrika südlich der Sahara bis zum Alter von 5 Jahren. In Anbetracht der hohen Belastung durch die Erkrankung ist die Suche nach innovativen und wirksamen Behandlungsmethoden für Millionen von Patienten weltweit nach wie vor von höchster Dringlichkeit.

Werden genverändernde SCD-Medikamente die Lösung sein?

Wichtige Akteure treiben die Entwicklung neuer Behandlungen voran

Die pharmazeutische Industrie ist sich bewusst, dass in diesem Bereich noch ein erheblicher ungedeckter Bedarf besteht und investiert massiv in SCD. Derzeit forschen etwa 40 Unternehmen an etwa 40 neuen Medikamenten. Die großen Unternehmen investieren stark in diesen Bereich und sponsern die meisten Studien. Roche und Novo Nordisk planen den Einstieg in diesen Bereich, während Pfizer und Novartis ihr Engagement im Bereich SCD bekräftigen, unter anderem durch die Ausweitung der Indikationen von Voxelotor und Crizanlizumab auf die pädiatrische Population mit Phase-III-Studien. Mit der jüngsten Übernahme von Global Blood Therapeutics im Oktober 2022 baut Pfizer ein starkes Portfolio auf, das einen bestehenden Vermögenswert und mehrere laufende Programme umfasst, in denen verschiedene Modalitäten (d. h. kleine Moleküle und monoklonale Antikörper) untersucht werden. Novo Nordisk erwarb Forma Therapeutics mit dem Ziel, ein führendes Portfolio im Bereich seltener Blutkrankheiten aufzubauen. Etablierte biopharmazeutische Unternehmen wie Vertex Pharmaceuticals, Bluebird Bio und Agios Pharmaceuticals sowie Biotech-Unternehmen in der Frühphase wie Editas Medicine oder BEAM Therapeutics arbeiten ebenfalls aktiv an neuen Therapien und versuchen, in den Bereich der seltenen Blutkrankheiten vorzudringen.

Da es sich bei SCD um eine monogenetische Krankheit handelt, scheint die Entwicklung einer Gentherapie eine vielversprechende Option zu sein

Bei mehr als der Hälfte der untersuchten neuen Behandlungen handelt es sich um kleine Moleküle, welche die Reduktion von VOCs sowie eine Erhöhung des Hämoglobinspiegels im Blut zum Ziel haben. Letzteres kann als ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Atemwegserkrankungen betrachtet werden. Des Weiteren führt Pfizer eine klinische Studie der Phase III durch, in welcher ein monoklonaler Antikörper evaluiert wird, der eine Reduktion des Auftretens von VOCs sowie von VOCs, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, zum Ziel hat. Einige Unternehmen verfolgen jedoch einen Ansatz, der auf genmodifizierenden und -verändernden Technologien basiert, um eine Veränderung des Spiels herbeizuführen. Aufgrund der monogenetischen Natur der Erkrankung könnte eine Gentherapie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer wirksamen Behandlungsmethode spielen. Die beiden jüngsten Programme basieren auf einer ex vivo geneditierten Stammzellentherapie mit der CRISPR/Cas9-Technologie namens ExaCell sowie einer Gentherapie, die auf der Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen mit einem funktionierenden β-Globin-Gen beruht. Die beiden Therapien, welche von Vertex Pharmaceuticals in Kooperation mit CRISPR Therapeutics bzw. von Bluebird Bio gesponsert werden, werden gegenwärtig von der FDA evaluiert. Die FDA wird ihre Entscheidung am 8. bzw. 20. Dezember bekannt geben. Die Entscheidung wird für den 8. bzw. 20. Dezember erwartet. Exa-cel, das gegenwärtig als CASGEVY™ bezeichnet wird, hat bereits einen Zulassungsstatus erreicht, da es am 16. November von der MHRA im Vereinigten Königreich zugelassen wurde. Allerdings kann der Zugang für Patientinnen und Patienten noch nicht gewährleistet werden, da Vertex nun mit dem britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) Gespräche über die Kosteneffizienz der Behandlung führen muss.


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Die Sichelzellenanämie stellt einen Forschungsbereich dar, der sich durch eine hohe Dynamik auszeichnet, da pharmazeutische Unternehmen signifikante Investitionen in dessen Erforschung tätigen. Die erste neue Behandlungsmethode, die den Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen wird, ist höchstwahrscheinlich eine gentechnisch veränderte Zelltherapie, die darauf abzielt, schwere VOCs zu reduzieren. Für Patientinnen und Patienten, die an Sichelzellenanämie leiden, besteht jedoch noch ein erheblicher ungedeckter Bedarf, bei dessen Deckung Alcimed gerne unterstützend zur Verfügung steht. Für etwaige Rückfragen steht Ihnen unser Team jederzeit zur Verfügung.


Über die Autorin, 

Julie, Senior Consultant in Alcimeds Life Sciences Team in den USA

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