Organ-on-a-Chip: In-vitro-Wiederbelebung von präklinischen Versuchen?

Veröffentlicht am 15 Januar 2025 Lesen 25 min

Präklinische Tests werden als unvermeidlicher und problematischer Schritt in der Arzneimittelentwicklung angesehen. Ein wesentlicher Nachteil dieser Tests ist, dass sie ethische Kontroversen im Zusammenhang mit dem Tierschutz hervorrufen und nicht immer relevante Ergebnisse für die Hersteller garantieren. Obgleich die Entwicklung in dieser Schlüsselphase bislang als unvermeidlich galt, deutet die neue Organmodellierungstechnologie „Organ-on-a-Chip“ nun auf eine bevorstehende Innovation hin. Das auf Innovation und die Entwicklung neuer Märkte spezialisierte Beratungsunternehmen Alcimed hat sich mit den Auswirkungen dieser makrokonsequenten Mikrotechnologie befasst.

Eine anspruchsvolle und komplexe Modellierung der menschlichen Organe

Bei der Entnahme von Zellen des menschlichen Körpers für die Kultivierung erfolgt zwangsläufig eine Beeinträchtigung der Eigenschaften, die mit ihren Interaktionen mit der ursprünglichen Umgebung assoziiert sind. Infolgedessen ist es in vielen Fällen nicht möglich, alle potenziellen Verhaltensweisen, die Zellen im menschlichen Körper an den Tag gelegt haben könnten, durch Experimente an Zellen in Kultur zu induzieren. Um die genannte Problematik zu überwinden, wurde das Konzept einer vernetzten Architektur verschiedener Zellkulturen entwickelt, um deren spezifische Umgebung nachzubilden. Dieser Ansatz wird als „Organ-on-a-Chip“ bezeichnet. Der Begriff bezeichnet einen integrierten Schaltkreis von Zellkulturen, welcher die Funktionen, Mechanismen und physiologischen Reaktionen der Organe des menschlichen Körpers nachbildet. In Anbetracht dieser Eigenschaften ist der Organ-on-a-Chip von großem Interesse für alle Sektoren, die mit der Durchführung von Versuchen am Menschen konfrontiert sind, unabhängig davon, ob es sich um die Untersuchung von Gesundheitsrisiken oder die Lösung praktischer Fragen handelt.

Das übergeordnete Ziel des Konzepts scheint in der Konstruktion eines „Human-on-a-chip“ zu liegen, welcher sich aus der Vernetzung der verschiedenen „Organs-on-chips“ ergibt. Die an dieser neuen Technologie beteiligten Akteure blicken jedoch bereits über diesen Punkt hinaus und streben einen ausreichenden Grad an Personalisierung an, um den Namen „You-on-a-chip“ zu verdienen. Allerdings müssen vor der Umsetzung des Konzepts noch wesentliche Fragestellungen beantwortet werden. Die Konzeption von „Organen auf Chips“ bedingt ein detailliertes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen im menschlichen Körper sowie die Fähigkeit zu deren Modellierung. Die Entwicklung dieser Technologie stellt somit eine anspruchsvolle Aufgabe dar, da sie an der Schnittstelle vieler Disziplinen angesiedelt ist und gleichzeitig ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit erfordert.

Ein lang erwarteter Umbruch bei den präklinischen Versuchen

Die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln ist ein komplexer Prozess, der mit zahlreichen Herausforderungen verbunden ist. Der Prozess ist gekennzeichnet durch eine hohe Anzahl an Durchläufen, einen hohen finanziellen Aufwand sowie eine hohe Anzahl an gescheiterten Versuchen. Als wesentliche Ursache für diese Situation werden vielfach die präklinischen Versuche identifiziert. Den Instrumenten, welche die Wirkungen von Arzneimitteln in präklinischen Versuchen evaluieren, mangelt es an Wirksamkeit und Präzision. Zudem lässt sich die Reaktion des menschlichen Körpers nicht mit hinreichender Sicherheit vorhersagen. Gegenwärtig werden zwei Methoden nebeneinander angewandt: die herkömmliche Zellkultur und Tierversuche. Die erste Methode, welche die Wechselwirkungen der Zellen mit ihrer ursprünglichen Umgebung vernachlässigt, liefert jedoch kaum überzeugende Ergebnisse. Die zweite Methode erlaubt zwar die Abschätzung der Reaktionen eines komplexen Organismus, ist jedoch häufig nicht in der Lage, die spezifischen Reaktionen des menschlichen Körpers mit hinreichender Genauigkeit vorherzusagen, was zu erheblichen ethischen Fragen führt.

Der Organ-on-a-Chip stellt eine innovative Methode dar, welche das Potenzial birgt, die Effektivität präklinischer Untersuchungen zu optimieren und dadurch den Prozess der Arzneimittelentwicklung grundlegend zu transformieren. Die Möglichkeit, die Reaktion des Organs auf ein Medikament direkt zu untersuchen, stellt einen wesentlichen Vorteil des Organ-on-a-Chip dar. Zudem eröffnet diese Methode die Option, die Ergebnisse nach Personentyp zu segmentieren, was bisher nicht realisierbar war. Die Möglichkeit der Segmentierung würde es den Forschenden erlauben, den Einfluss von Variablen wie Alter, Geschlecht oder geografischer Verteilung auf die Wirksamkeit eines Medikaments bereits in präklinischen Versuchen zu analysieren. Die genannten Arbeiten würden unter Zuhilfenahme von Maschinen durchgeführt, welche sich derzeit in der Entwicklung befinden und sowohl die Durchführung als auch die Analyse der Tests automatisieren sollen. Folglich würden derartige Versuche eine höhere Geschwindigkeit sowie Verlässlichkeit aufweisen und bereits in dieser frühen Phase zu einem vertieften Verständnis von Arzneimitteln führen.

Interessante Errungenschaften

Obgleich die Entwicklung als komplex zu bezeichnen ist, verzeichnen zahlreiche konkrete Erfolge, dass die Organ-on-a-Chip-Technologie bereits ausgereift genug ist, um echte Fortschritte zu erzielen. So wurden beispielsweise Herz, Nieren, Lunge sowie Leber – neben anderen Organen – erfolgreich modelliert. Eine Vielzahl von Akteuren hat unabhängig voneinander den Weg zu diesen Erfolgen beschritten, wobei einige von ihnen Partnerschaften eingegangen sind, die das Interesse an dieser neuen Technologie widerspiegeln. So hat sich Mimetas mit Janssen, Biogen und Abbvie zusammengetan, um neurovaskuläre Organ-on-Chips zur Untersuchung der Alzheimer-Krankheit zu entwickeln, während TissUse mit Bayer kooperiert, um ein Leber-Endokrinum-Multi-Organ-on-Chip-System zur Evaluierung der Toxizität spezifischer Pharmaka zu etablieren. Emulate, ein Pionier auf diesem Gebiet, hat auf Basis seiner Technologie zahlreiche Kooperationen initiiert, darunter mit Roche, AstraZeneca und Takeda. Derzeit führt das Unternehmen Gespräche mit der FDA, um die Einsatzmöglichkeiten seiner On-Chip-Organe als toxikologische Testplattformen zu eruieren. Neben den genannten Pharmaunternehmen könnte die Technologie auch für andere Akteure von Interesse sein, beispielsweise für die Agrar- und Ernährungsindustrie, die Kosmetikindustrie sowie Hersteller von Chemikalien (beispielsweise für Haushaltsprodukte). Auch Akteure in der Nuklearindustrie könnten von dieser Technologie profitieren, etwa um die Auswirkungen von Strahlung auf den menschlichen Körper zu bewerten.

„Neben den präklinischen Studien stellt Organ-on-a-Chip einen entscheidenden Vorteil für die personalisierte Medizin dar. Die Möglichkeit, eine Prognose hinsichtlich der individuellen Reaktion eines Patienten auf eine bestimmte Therapie zu treffen, stellt einen wesentlichen Fortschritt dar“, so Delphine Bertrem, Leiterin des Geschäftsbereichs Gesundheit in Paris.

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