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Wie könnte eine künstliche Plazenta die Überlebensrate von Frühgeborenen verbessern?

Veröffentlicht am 04 Januar 2024 Lesen 25 min

Der Anteil frühgeborener Babys an der globalen Geburtenrate beträgt etwa 10%. Obwohl in der Neugeborenenpflege signifikante Fortschritte erzielt wurden, besteht für Frühgeborene, die vor der 28. Schwangerschaftswoche geboren werden, weiterhin ein erhöhtes Risiko für Mortalität und Folgeerkrankungen. Die künstliche Plazenta stellt eine Technologie dar, welche den Mutterleib nachzuahmen versucht, um dem Baby zu ermöglichen, seine Entwicklung, ohne die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung fortzusetzen. Obwohl diese Technologie erstmals vor mehr als 60 Jahren untersucht wurde, wurden in den letzten Jahren vielversprechende Ergebnisse mit Tiermodellen veröffentlicht. In diesem Artikel betrachten wir das Potenzial der künstlichen Plazenta, die Überlebensraten von Frühgeborenen zu verbessern.

Sehr frühgeborene Babys haben ein erhöhtes Mortalitätsrisiko und ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen

Die Weltgesundheitsorganisation definiert eine Frühgeburt als die Geburt eines Babys, welches vor Abschluss der 37. Schwangerschaftswoche lebend zur Welt kommt. In Abhängigkeit vom Gestationsalter erfolgt eine Klassifikation der betroffenen Neugeborenen als extrem frühgeboren (weniger als 28 Wochen), sehr frühgeboren (29–32 Wochen) sowie moderat bis spät frühgeboren (32–37 Wochen). Jährlich versterben weltweit etwa 900.000 frühgeborene Babys und bei zahlreichen Überlebenden treten als Folgeerscheinungen Atem-, Herz-Kreislauf- sowie neurologische Erkrankungen auf.1World Health Organization: WHO. (2023, May 10). Preterm birth. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/preterm-birth Das Risiko für gesundheitliche Komplikationen korreliert mit dem Zeitpunkt der Geburt und ist bei extrem frühgeborenen Babys höher. Die Überlebensrate für extrem frühgeborene Babys liegt in Europa bei weniger als 80 %, im Vergleich zu fast 96 % für Babys, die nach der 28. Schwangerschaftswoche geboren werden.

Was ist eine künstliche Plazenta?

Die niedrigen Überlebensraten extrem frühgeborener Babys sind darauf zurückzuführen, dass die Entwicklung der Lunge, des Darm und des Gehirn erst nach dem sechsten Monat abgeschlossen ist. Säuglinge, die vor diesem Zeitraum geboren werden, weisen in der Regel ein Geburtsgewicht von weniger als 1 kg auf und sind gezwungen, in einer für sie fremden Umgebung zu überleben, in der dafür häufig eine mechanische Beatmung erforderlich ist. Mit dem Ziel, extrem frühgeborenen Babys angemessenere Bedingungen für ihren empfindlichen Zustand zu bieten, initiierten Wissenschaftler Forschungsprojekte zur künstlichen Plazenta.

Die künstliche Plazenta zielt darauf ab, die intrauterine Umgebung mit einer extrakorporalen Plattform nachzubilden, wobei der Fokus auf der Sauerstoffversorgung von extrem frühgeborenen Babys ohne mechanische Beatmung liegt. Die Sauerstoffversorgung könnte mittels eines mit der Nabelschnur des Fötus verbundenen Gasaustauschgeräts erfolgen.

Neben der Unterstützung von Säuglingen, um ihre Entwicklung abzuschließen, ohne ihre unreifen Lungen durch mechanische Beatmung zu schädigen, wäre auch der Einsatz der künstlichen Plazenta zur chirurgischen Reparatur von angeborenen Fehlbildungen bei spät extrem frühgeborenen Babys denkbar.

Vielversprechende Ergebnisse nach 60 Jahren Forschung

Die künstliche Plazenta wurde erstmals Ende der 1950er Jahre untersucht, jedoch verloren die Wissenschaftler in den 1970er Jahren das Interesse, da zu diesem Zeitpunkt bereits große Fortschritte in der Neugeborenenpflege, einschließlich der Verwendung der extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO), erzielt worden waren. Die klinische Anwendung der ECMO bei reifen und nahezu reifen Neugeborenen hat die Forschung zur künstlichen Plazenta erneut ins Blickfeld gerückt.

Derzeit wird diese Technologie von verschiedenen Forschungsteams in den USA, Europa, Australien und Japan unter Verwendung von Lämmern als Tiermodell weiterentwickelt. Die Forschungsgruppe um Professor Flake an der Universität von Philadelphia, USA, zählt zu den vielversprechendsten und konnte nachweisen, dass Lämmer bis zu vier Wochen in einem künstlichen Plazentasystem überleben können. Während dieses Zeitraums befanden sich die Lämmer in einem geschlossenen System, welches den Mutterleib mit Fruchtwasser nachahmt und über die Nabelschnur mit einem Sauerstoffversorgungssystem verbunden ist. Während der Zeit in der künstlichen Plazenta setzen die Lämmer ihre Entwicklung fort und zeigen am Ende der vier Wochen ein ausgereiftes Gehirn und Lungen.

3 Herausforderungen, die vor der Nutzung einer künstlichen Plazenta überwunden werden müssen

Herausforderung Nr. 1: die maternale, uterine Umgebung reproduzieren

Die größte Herausforderung der künstlichen Plazenta besteht in der Nachahmung des Mutterleibs unter möglichst präziser Reproduktion seiner Eigenschaften. Dies impliziert die Konzeption eines weichen Behälters aus biokompatiblen Materialien, welcher vor Licht geschützt ist und Geräusche erzeugt, die denjenigen im Mutterleib ähneln. Die Schaffung dieser Umgebung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Experten aus den Bereichen der fetalen Medizin, Neonatologie, pädiatrischen Chirurgie sowie des Bioengineering.

Herausforderung Nr. 2: essenzielle Substanzen in eine künstliche Plazenta transferieren

Neben der Sauerstoffversorgung erfolgt die Zufuhr von Hormonen, Antikörpern sowie weiteren Nährstoffen über die Nabelschnur durch die Mutter. Im Falle einer künstlichen Plazenta muss folglich ein nahezu identischer Stoffaustausch gewährleistet sein.

Herausforderung Nr. 3: die Größe des Gasaustauschsystems zur Anpassung an die Bedürfnisse von menschlichen Säuglingen reduzieren

Eine weitere Herausforderung für die Wissenschaft besteht in der Anpassung der Größe des Gasaustauschsystems an menschliche Säuglinge, die weniger als ein Kilogramm wiegen. Dies ist erforderlich, da Lämmer aus Tierversuchen erheblich größer sind. Die Verkleinerung des Gasaustauschsystems wird von den Forschern als einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zur klinischen Anwendung erachtet.

Die Überlebenschancen von extrem frühgeborenen Babys sind nach wie vor geringer und das Risiko für Folgeerkrankungen ist höher als bei reif geborenen Kindern. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Organe dieser Babys bei der Geburt noch nicht vollständig entwickelt sind und sie anschließend einer mechanischen Beatmung ausgesetzt sind. Die künstliche Plazenta stellt eine vielversprechende Alternative dar, welche es Säuglingen ermöglichen könnte, ihre Entwicklung in einer gebärmutterähnlichen Umgebung fortzusetzen, ohne auf mechanische Beatmung angewiesen zu sein. Fortschritte in der extrakorporalen Membranoxygenierung haben in Tiermodellen vielversprechende Ergebnisse gezeigt und lassen auf einen potenziellen Einsatz der künstlichen Plazenta bei menschlichen Säuglingen hoffen.

Wir bei Alcimed beschäftigen uns kontinuierlich mit innovative Ansätze zur Optimierung der Patientenversorgung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise Frühgeborenen, und ist bestrebt, Sie in diesen Bereichen zu unterstützen. Für weitere Informationen und bei Rückfragen steht Ihnen unser Team jederzeit zur Verfügung.


Über den Autor, 

Richard, Project Manager in Alcimeds Life Sciences Team in Frankreich

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