Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden psychische Erkrankungen bis zum Jahr 2030 den größten Anteil an der weltweiten Krankheitslast haben. Eine psychische Störung ist das schädliche Versagen interner Mechanismen, eine ihrer psychologischen Funktionen zu erfüllen. Zwar kann eine medikamentöse Behandlung für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen wirksam sein, doch können Probleme wie die langfristige Abhängigkeit von Medikamenten, lähmende Nebenwirkungen, unterschiedliches Ansprechen auf die Behandlung und mangelnde Therapietreue die Wirksamkeit der derzeitigen psychiatrischen Behandlungen beeinträchtigen. Der Einsatz von Technologien im Bereich der mentalen Gesundheit kann die bestehenden medikamentösen Behandlungen ergänzen, um die Versorgungqualität schwerer und chronischer psychischer Störungen zu verbessern.
Mental Health Tech Innovation Nr. 1: Digitale Therapeutika (DTx) zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen
DTx sind Behandlungsansätze, die auf verhaltensorientierten Maßnahmen beruhen und vielversprechende Ergebnisse bei der Vorbeugung oder Behandlung verschiedener Formen psychischer Erkrankungen gezeigt haben. In der Tat wurden zwischen 2010 und 2019 mehr als 500 klinische Studien zu digitalen Therapeutika durchgeführt, wobei sich über 40 % dieser Studien auf die mentale Gesundheit konzentrierten. Ein Beispiel für einen Therapiebereich, in dem digitale Therapeutika die Standardversorgung verbessern könnten, ist die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Bei den derzeitigen Therapieoptionen für ADHS handelt es sich in erster Linie um pharmakologische Interventionen, die langfristige Risiken und Nebenwirkungen haben. Im Juni 2020 hat die FDA EndeavorRxTM (AKL-T01) als verschreibungspflichtiges DTx für Kinder mit ADHS zugelassen. Während die meisten digitalen Therapeutika im Wachzustand verabreicht werden, zeichnet sich das „Monarch-System“ zur externen Trigeminus-Nervenstimulation (eTNS) dadurch aus, dass es auch im Schlaf funktioniert. Dieses kleine elektronische Gerät stimuliert den Trigeminusnerv des Gehirns über ein Pflaster, das vor dem Schlafengehen auf die Stirn geklebt wird, und zielt auf Gehirnbereiche ab, die an Stimmungsstörungen, Epilepsie und Aufmerksamkeit beteiligt sind.
Mental Health Tech Innovation Nr. 2: Nicht-invasive Hirnstimulationstechnik zur Veränderung der Hirnaktivitätsmuster
Bei der nicht-invasiven Hirnstimulation (NIBS) werden elektrische Ströme (induziert durch Magnetfelder) als Maßnahme zur Behandlung psychischer und neurologischer Störungen eingesetzt. Es hat sich gezeigt, dass NIBS in Kombination mit psychosozialen Maßnahmen eine signifikante positive Wirkung auf die Linderung mittelschwerer bis schwerer depressiver Symptome hat. Depressionen gehören weltweit zu den schwersten psychischen Erkrankungen, von denen weltweit mehr als 264 Millionen Menschen betroffen sind. Ein Beispiel für eine solche Technologie im Bereich der mentalen Gesundheit ist das Gerät von Pulvinar Neuro, einer Ausgründung der UNC-Chapel Hill, das bei Patienten, die an einer psychischen Krankheit leiden, die Muster der Gehirnaktivität verändert. Die Technologie kann verschiedene Wellenformen anwenden, um Hirnaktivitätsmuster zu verschieben und zu verändern, was bei vielen Patienten zu einer spürbaren Linderung der Symptome führt. Weitere Forschungsarbeiten zu dieser Technologie sollten mehr Erkenntnisse in Bezug auf eine Kombinationsbehandlung im Vergleich zu NIBS allein und psychosozialen Maßnahmen allein liefern.
Mental Health Tech Innovation Nr. 3: Hirnimplantate zur Verbesserung der Langzeitbehandlung
Hirnimplantate sind medizinische Geräte, die in der Regel in das Gehirn eingesetzt werden, um die neuronale Aktivität direkt zu stimulieren oder zu modulieren. Zu den Vorteilen von Hirnimplantaten gehört, dass sie Symptome lindern, die gegen andere Behandlungsformen resistent sind, und dass sie personalisierte Therapieansätze bieten. US-Forscher und Kliniker an der University of California San Francisco (UCSF) haben ein Implantat entwickelt, das wie ein Herzschrittmacher für das Gehirn wirkt. Mit Hilfe eines präzisionsmedizinischen Ansatzes konnte die behandlungsresistente Depression eines Patienten erfolgreich behandelt werden, indem der Schaltkreis im Gehirn, der eindeutig mit den Symptomen verbunden ist, identifiziert und moduliert wurde. Das Implantat wird in den Schädel eingepflanzt und mit dem Gehirn des Patienten verdrahtet, um durch Tiefenhirnstimulation elektrische Ladungen auszulösen, die die Gehirnfunktionen des Patienten neu einstellen. Bei den Entwicklungen im Bereich der Hirnimplantate geht es um Innovationen bei weichen implantierbaren Elektroden, energieeffizienten Geräten und hochauflösenden Sensor-Array-Prozessoren. So haben die EPFL-Forscher beispielsweise ein stromsparendes Chipdesign, Algorithmen des maschinellen Lernens und weiche implantierbare Elektroden kombiniert, um eine neuronale Schnittstelle zu entwickeln, die Symptome verschiedener neurologischer Störungen erkennen und unterdrücken kann.
Mental Health Tech Innovation Nr. 4: Transkranielle Magnetstimulation zur Überwindung von Arzneimittelresistenzen
Etwa 20-60 % der Patienten mit psychiatrischen Störungen leiden unter Arzneimittelresistenz, was mit einer erhöhten Belastung und Kosten für das Gesundheitswesen verbunden ist. Für diese Gruppe von Patienten könnte die transkranielle Magnetstimulation (TMS) eine alternative Therapie darstellen. Auf der Basis eines verbesserten Verständnisses des Zusammenhangs zwischen Neuroaktivität und der Regulierung von Stimmung und Verhalten wird eine elektromagnetische Induktion eingesetzt, um die spezifischen Bereiche des Gehirns, die die Stimmung kontrollieren, gezielt zu beeinflussen und so die Neuroaktivität zu modulieren. Eine kürzlich durchgeführte klinische Studie hat gezeigt, dass 47 % der Patienten mit behandlungsresistenten Depressionen (TRD) auf die TMS ansprachen und 30 % in Remission gingen und nicht mehr als klinisch depressiv eingestuft wurden. Im Vergleich zu Hirnimplantaten handelt es sich hierbei um einen völlig nicht-invasiven Ansatz, der eine sichere und wirksame Therapie für Patienten darstellt, die kurzfristig eine medizinische Intervention benötigen.
Mental Health Tech Innovation Nr. 5: Virtual Reality-Therapie zur Behandlung von Psychosen
Bei der Therapie mit virtueller Realität (VR) oder visueller Simulationstechnologie (VST) werden computergenerierte Umgebungen verwendet, um eine realistische und eindringliche Erfahrung zu schaffen, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich bestimmten Ängsten oder Befürchtungen im Zusammenhang mit seiner mentalen Gesundheit zu stellen und diese zu überwinden. Die VR-Therapie hat sich bei der Behandlung einer Reihe von psychischen Erkrankungen wie Psychosen und Angstzuständen als wirksam erwiesen. Im Jahr 2022 hat ein britisches Start-up-Unternehmen (OxfordVR), das VR zur Durchführung einer kognitiven Verhaltenstherapie einsetzt, von der FDA den Status eines bahnbrechenden Geräts (engl.: Breakthrough Device designation) für die Behandlung von Schizophrenie und anderen schweren psychischen Erkrankungen erhalten. Dieser Status wird die endgültige Zulassung beschleunigen, wenn die klinischen Versuche erfolgreich verlaufen. OxfordVR hat eine Behandlung entwickelt, bei der VR-Headsets eingesetzt werden, um Patienten durch alltägliche Situationen zu leiten, wie z. B. den Besuch eines Geschäfts oder die Fahrt mit dem Bus, die bei Psychosekranken Angst und Unruhe auslösen. Dieser verschreibungspflichtige Dienst nutzt automatische Aufforderungen zur Durchführung einer kognitiven Verhaltenstherapie (CBT), einer Form der Gesprächstherapie.
Die Zukunft der Technologie im Bereich der psychischen Erkrankungen ist vielversprechend, da neu entstehende Technologien das Potenzial haben, die Versorgung und die Wirksamkeit der bestehenden Behandlungsmöglichkeiten erheblich zu verbessern. Die Einführung von Technologien zur Behandlung psychischer Erkrankungen wird jedoch letztlich davon abhängen, ob die Unternehmen in der Lage sind, deren Sicherheit und Wirksamkeit nachzuweisen. Darüber hinaus müssen die Unternehmen nachweisen, dass diese Technologien für die mentale Gesundheit, wenn sie in Verbindung mit oder als Alternative zu bestehenden Behandlungsmethoden eingesetzt werden, einen allgemeinen Nutzen für die Behandlung schwerer und chronischer psychischer Störungen haben. Alcimed kann Sie bei Ihren Projekten im Bereich HealthTech unterstützen. Zögern Sie nicht, unser Team zu kontaktieren.
Über die Autoren,
Xianjin, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Singapur
Ismail, Project Manager in Alcimeds Healthcare Team in Singapur